Mit der schicken Mittelklasse war Rüsselsheim auf Augenhöhe mit BMW und Mercedes
Das waren noch Zeiten: 1972 lag Opel mit 20,4 Prozent Marktanteil noch vor VW und erreichte mit fast 878.000 Einheiten die höchste Stückzahl seit Beginn der Autoherstellung im Jahr 1899. Die Namen der Modelle sind wohlklingend: Kadett, Ascona, Manta, Rekord, Commodore, Admiral, Diplomat und der GT.
In jenem Jahr löste Rüsselsheim einen seinen Bestseller ab: Auf den enorm erfolgreichen Rekord C folgte der Rekord D (offiziell zunächst Rekord II, um Diesel-Assoziationen zu vermeiden). Anfang 2022 feiert die Mittelklasse ihren 50. Geburtstag.
Zu seiner Premiere im Jahr 1972 musste er in große Fußstapfen treten, war doch sein direkter Vorgänger mehr als 1,2 Millionen Mal vom Band gerollt - was bis dato ein Achtel aller in sieben Jahrzehnten Opel-Automobilbau produzierten Fahrzeuge ausmachte.
Beweis genug, dass "der Markt einen Wagen wie den Rekord braucht", wie eine werkseigene Presse-Information damals treffend feststellt, und weiter: "Die tragende Rolle, die der 66er Rekord fünf Jahre lang gespielt hat, überlässt er jetzt seinem jungen Nachfolger, der in den kommenden Jahren die Szene beherrschen wird."
Im Gegensatz zum Rekord C, dessen rundliches "Coke-Bottle"-Design vor der C-Säule von der Formensprache der amerikanischen Schwestermodelle beeinflusst war, trägt der Nachfolger europäische Züge. Klare und funktionale Linien, glatte Flächen sowie große Fenster und eine niedrige Gürtellinie bestimmen das zeitlos gezeichnete Äußere. Der Rekord D kommt auf den Markt "wie ein unerwarteter Besucher zu einer Party, (…) der frischen Schwung in die Gesellschaft bringt", schwärmt seinerzeit der Pressetext.
Die Produktion des Rekord D beginnt bereits im Dezember 1971 in Rüsselsheim. Wie beim Vorgänger stehen drei Karosserievarianten zur Wahl: die klassische Stufenheck-Limousine mit zwei oder vier Türen, das sportliche Coupé und eine Caravan-Version mit drei oder fünf Türen. Für den gewerblichen Einsatz - und in bester Tradition des legendären Schnelllieferwagens der 1950er- und 1960er-Jahre - bietet Opel außerdem den Rekord als Lieferwagen an (einen dreitürigen Kombi ohne Seitenfenster im Fond).
Der Opel Rekord D setzt bei der passiven Sicherheit ebenfalls Maßstäbe. Verstärkungen in den Flanken und im Dach bieten Schutz im Falle eines Seitenaufpralls oder Überschlags. Knautschzonen schützen Fahrer und Passagiere bei einem Frontalaufprall.
Die Benzinmotoren des Rekord D sind Weiterentwicklungen der bewährten, bis zu seinem Debüt bereits über zwei Millionen Mal gebauten Vierzylinder-Aggregate mit seitlich liegender Nockenwelle (cih = camshaft-in-head). Die Basis bildet ein 1,7-Liter-Triebwerk mit 66 PS, die S-Maschine liefert 83 PS, das 1,9-Liter-Aggregat 97 PS.
Darüber hinaus feiert Opel mit dem Rekord D bei den Antrieben im September 1972 eine Weltpremiere: Der erste Pkw-Diesel der Automobilgeschichte des Unternehmens gibt sein Serien-Debüt - ein echtes Weltrekord-Triebwerk. Drei Monate zuvor im Juni hatte der turbogeladene Wirbelkammermotor seinen ersten Einsatz - in einem aerodynamisch optimierten Diesel GT, der 18 internationale Rekorde und zwei Weltrekorde im Testcenter Dudenhofen aufstellte.
Im Opel Rekord D leistet der neue Selbstzünder 60 PS, verbraucht im Schnitt 8,7 Liter Diesel auf 100 Kilometer und sorgt für 135 km/h Spitze. Zu erkennen ist der Rekord 2100 D an seiner in der Mitte gewölbten Motorhaube. Technischer Hintergrund: Durch die Konstruktion mit obenliegender Nockenwelle und geändertem Zylinderkopf baut der Dieselmotor höher als die Benziner.
Mit Automatik braucht der Diesel-Rekord sagenhafte 32,5 Sekunden von null auf 100 km/h. Immerhin greifen einige Taxifahrer zu, schließlich ist ein Mercedes 200 D damals eine ähnliche Wanderdüne.
Ein ganz anderes Kaliber kommt im März 1972: Hier erweitert der Commodore B die Baureihe nach oben. Als Vertreter der oberen Mittelklasse schließt er die Lücke zwischen dem Rekord und den Oberklasse-Modellen Admiral und Diplomat. Die Karosserieform übernimmt er vom Rekord - zugleich ist der Commodore B aber luxuriöser ausgestattet und wird ausschließlich mit Sechszylindermotoren und deutlich mehr Power angeboten.
Der 2,5-Liter-S leistet 115 PS. Darüber ist der 130 PS starke Commodore GS positioniert. In einer weiteren Entwicklungsstufe erhält die GS-Variante später einen 2,8 Liter mit zwei Registervergasern und 142 PS. Im September 1972 erscheint das Top-Modell der Commodore-Familie: der 160 PS starke GS/E.
Sein mit elektronischer Einspritzung ausgerüsteter 2,8-Liter-Motor sorgt für eindrucksvolle Fahrleistungen: Das Coupé erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von magischen 200 km/h, die viertürige Limousine 195 km/h. Der GS/E spricht die Liebhaber leistungsstarker Tourenwagen an, die selbst weite Strecken mit hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten zurücklegen wollen, erklärt Opel. Zum Vergleich: 1972 schafft der schwächste Porsche 911 auch nur 205 Spitze.
Kein Wunder also, dass der Commodore GS/E auch als ernstzunehmender Wettbewerber im Rundstrecken- und Rallyesport auftritt. 1973 geht bei der Rallye Monte Carlo zum ersten Mal das Nachwuchs-Talent Walter Röhrl auf einem Opel an den Start. Mit Erfolg, obwohl das vom Tuner Irmscher vorbereitete Commodore GS/E-Coupé mangels Homologation in der Gruppe 2 der reinrassigen Rallye-Fahrzeuge starten muss.
Doch die größten Siege feiern Opel Commodore und Rekord abseits der Rennstrecke im Alltag. Anfang September 1976 läuft eine goldene Rekord D-Limousine als einmillionstes Modell der Baureihe vom Band. Anlässlich des damaligen Jubiläums geht eine Kleinserie des Sondermodells "Millionär" mit dem 100 PS starken 2,0 Liter-S-Motor und feiner Berlina-Ausstattung in den Verkauf.
Als im September 1977 die letzte Rekord-Generation startet, sind in Rüsselsheim 1.128.196 Einheiten des Rekord D und 140.827 Commodore B vom Band gelaufen. Trotz Ölkrise hat der D also fast das Ergebnis seines Vorgängers erreicht. Heute liegen die Preise für gute Exemplare des Rekord D zwischen 8.000 und 12.000 Euro, beim Commodore sind es bis zu 17.000 Euro.