Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Das Zitat von Altkanzler Helmut Schmidt trifft zumindest für Autodesigner nicht zu. Hier wird gerne und oft in die Zukunft geblickt. Kein Wunder, will man doch den Autokäufern eine kommende Designlinie schmackhaft machen. Im "High Museum of Art" im amerikanischen Atlanta sind jetzt bis zum 7. Septenber 2014 insgesamt 17 Konzeptfahrzeuge aus den letzten acht Jahrzehnten zu sehen. Daneben zeigen Zeichnungen und Maßstabsmodelle, wie die Träume der Designer Wirklichkeit wurden. Wir nehmen sie mit auf eine Reise in die goldenen Zeiten des ungebremsten Auto-Fortschritts!
Inspiriert von den Silberpfeilen der 1930er-Jahre schuf der Ingenieur Norman Timbs eine beeindruckende Skulptur auf Rädern. Der "Special" kostete Timbs seinerzeit 10.000 US-Dollar, unter dem hochklappbaren Heck arbeitet ein Reihen-Achtzylinder.
In den 1950er-Jahren waren Düsenjäger der letzte Schrei und neben dem Atom das Zeichen der Zeit. Mit dem Firebird I schuf der legendäre GM-Chefdesigner Harley J. Earl ein Jahr vor dessen Premiere einen Starfighter für die Straße. Gezeigt wurde der Wagen auf der so genannten "Motorama"-Ausstellung. Dort garnierten aussergewöhnliche Studien das konventionelle GM-Verkaufsprogramm.
Im Auftrag von Bertone gestaltete Marcello Gandini den vielleicht flachsten Keil der Automobilgeschichte. Der Stratos HF Zero war bei einer Länge von 3,58 Meter nur 84 Zentimeter hoch. Den Namen Stratos übernahm später ein erfolgreiches Rallyeauto von Lancia, Gandini machte sich mit dem Lamborghini Countach unsterblich.
Bei Ghia entstand der Chrysler Streamline X, auch "Gilda" genannt. Giovanni Savonuzzi und Virgil Exner nahmen mit Gilda den Heckflossen-Trend der späten 1950er-Jahre vorweg. Unübersehbar ist aber auch hier der Einfluss von Düsenflugzeugen.
Wie vom anderen Stern muss der "Scarab" von William B. Stout vor fast 80 Jahren auf die Beobachter gewirkt haben. Ins Heck baute Stout einen Ford-V8. Sein Wagen war nicht nur einer der ersten überhaupt mit einer Aluminium-Spaceframe-Karosserie, sondern auch ein Vorläufer moderner Vans. Lediglich zwei Exemplare wurden gebaut.
Das elektrische Ei: So lautet der übersetzte Name dieses eigenwilligen Gefährts. Bemerkenswert ist nicht nur das Entstehungsjahr 1942, sondern auch der Ort: Das Strom-Ei nutzte sein Erbauer Paul Arzens im besetzten Paris.
Dieser speziell karossierte Bugatti 57S stammt im Original aus dem Jahr 1935. Dieses gibt es aber nicht mehr, sodass in Atlanta ein Nachbau zu sehen ist. Macht aber nichts, denn wunderschön ist auch er.
Markant: Die Heckfinne erinnert an den superseltenen Bugatti 57 SC Atlantic aus dem Jahr 1938. Der "Aerolithe" nahm als Studie (wie man heute sagen würde) nicht nur das Atlantic-Design vorweg, sondern auch dessen Aluminiumkarosserie.
Wie sieht das Auto von morgen aus? BMW versuchte 2008 mit dem Visionsmodell GINA Light der mobilen Zukunft eine Form zu geben. Unübersehbar ist der Einfluß des damaligen BMW-Chefdesigners Chris Bangle. Das Besondere an der Studie eines zweisitzigen Roadsters: Front- und Seitenpartie einschließlich der Türen bilden eine frei von Fugen ineinander übergehende Einheit.
Das Besondere an der GINA-Studie von BMW. Über einer Metallstruktur spannt sich ein hochstrapazierfähiges und extrem dehnungsresistentes Gewebe. Man beachte den Effekt bei geöffneter Tür.
Superflach und extrem keilförmig gab es anno 1970 nicht nur bei Bertone, sondern auch bei Pininfarina. Zum Einstieg in den 93 Zentimeter flachen Ferrari 512 S Modulo wurde das Dach hochgeklappt.
Nur selten geht eine Studie ohne größere Änderungen in die Serie. Der Porsche 918 ist so eine Ausnahme: Im März 2010 zeigte die Marke das 918 Spyder Concept Car, drei Jahre darauf den regulären 918. Mit insgesamt 887 PS blieb der Hybrid-Sportler auf der Nordschleife unter der Sieben-Minuten-Marke.
Sie kennen Gordon M. Buehrig nicht? Schade, denn der Amerikaner (1904-1990) ist für die atemberaubenden Auburn- und Cord-Modelle der 1930er-Jahre verantwortlich. Mit dem hier gezeigten Tasco erfand Buehrig das herausnehmbare T-Top-Dach.
Edsel und Ford: Da war doch mal was? Richtig. Nach dem einzigen Kind von Henry Ford wurde Ende der 1950er-Jahre eine Automarke benannt, die zum Riesen-Flop wurde. Eigentlich schade, denn Edsel Ford, der 1943 mit nur 49 Jahren starb, entwarf zu Lebzeiten formvollendete Wagen wie den Model 40 Special Speedster.
Flugzeugkonstrukteur, Pilot, Autodesigner: Der Franzose Gabriel Voisin stand auf PS. Und auf ungewöhnliche Lösungen. Beim nur 28-mal gebauten C-25 Aérodyne von 1934 sind die Einflüsse vom damaligen Flugzeugbau unübersehbar. Trotzdem war für Voisin schon 1939 Schluss mit dem Automobilbau.
Im Jahr 1941 weisen fast alle Autos noch klassische Kotflügel und seitliche Trittbretter auf. Nicht so die von Ralph Roberts und Alex Tremulis gestaltete Studie Thunderbolt. Tremulis entwarf nach dem Krieg nicht nur den legendären Tucker, sondern auch Konzeptfahrzeuge für Ford.
Die F-86 Sabre war einer der ersten Düsenjäger, den die US-Air-Force 1949 übernahm. Zwei Jahre später schweiften die Gedanken von GM-Chefdesigner Harley J. Earl in diese Richtung und es entstand der Le Sabre XP-8. Parallelen zu den flossenbewehrten Cadillacs des 1959er-Jahrgangs sind kein Zufall.
Und noch einmal Harley J. Earl: Im Buick Centurion von 1956 saßen die Insassen unter einer großen Glaskuppel. Zum Glück gab es schon Klimaanlagen. Erstmals ersetzte eine Kamera den Innenspiegel. Von 1971 bis 1973 hatte Buick übrigens tatsächlich ein Modell namens Centurion im Programm.
Was war in den 1950er-Jahren noch schärfer als Düsenjets? Raketen! Das dachte sich auch Harley Earl beim Cyclone von 1959. Die beiden spitzen "Nasen" des Autos erinnerten an die ähnlich geformten Körbchen damaliger Büstenhalter. Ein Modebegriff jener Zeit war der "Atombusen".
Wenn es völlig abgefahren wird, verlegen Designer ihre Fantasien gerne aufs Papier. So wie bei diesem um 1960 herum entstandenen Mix aus Motorrad und Auto von Syd Mead.
Womit fährt die Hausfrau im Jahr 2000 zum Einkauf? Der "Runabout" genannte Entwurf von Wayne Cherry liegt stilistisch zwischen Raumfähre und Boot.
Beinahe surreal mutet die Szenerie an, in der Carl Renner vor über 60 Jahren seine Idee eines offenen Cadillac realisierte. Die später folgenden Serien-Cabrios der Marke waren hiervon gar nicht mal weit entfernt.